Mittwoch, Oktober 15, 2008

Warrior Women

15.10.08, Mittwoch

Vormittags:

Strahlender Sonnenschein, zum Training haben sich außer uns beiden, Jud und Herrn Si noch zwei Australier eingefunden. Der eine ist wohl zum ersten Mal hier, der andere hat schon ein wenig Ahnung. Der Meister kommt eine halbe Stunde zu spät, da er vergessen hatte, seinen Wecker zu stellen. Oskar entschuldigt sich beim Meister per SMS, auf englisch schreibet er, er müsse sich ausruhen und käme morgen. Ich übersetze das ins chinesische und der Meister lacht dreckig. Oskars Freundin ist 20 Jahre jünger als er, Jud meint nur trocken, Oskar habe wohl Pflichten zu erfüllen. Angesichts der Neulinge und der Tatsache, dass Stefanie heute Mittag noch von Wujie in die Mangel genommen wird, steht mildes Training auf dem Programm. Links neben uns singt wieder der Chor patriotische Weisen, rechts hat sich ein Duo mit Erhu und Kastagnetten eingestellt, dazu singt eine Dame Pekingoper. Dieses Team hat auch einen Lautsprecher. Um diese Kakophonie perfekt zu machen, erklingt aus der gegenüberliegenden Schule als Pausenzeichen ein Tiroler Ländler. Beim Parktraining sollte man schon ziemlich stressresistent sein, ich habe allerdings auch Schlimmeres erlebt. Den Abenteuerlustigen sei hier der Caoyang Park empfohlen.
Als ich nach dem Unterricht meine Trainingsjacke gegen ein T- Shirt tausche, starrt mich ein alter Herr mit riesiger Sonnenbrille unverwandt an. Selbstverständlich trage ich unter dem Fummel noch ein Trägertop und natü
rlich auch einen BH, es gibt also nichts zu sehen. Züchtig drehe ich dem Herren den Rücken zu, er scheint es trotzdem interessant zu finden. Meister Wu fertigt unsere neuen Fummel anscheinend selber an, stolz erzählt er uns, er habe gestern zunächst das Tuch eingeweicht, damit die Klamotten beim Waschen nicht mehr einlaufen. Klasse, vom Meister handgeschneiderte Übungskleidung, das hat natürlich gleich einen ganz anderen Stellenwert. Stefanie macht sich auf den Weg nach Pudong zu Wujie und ich lege mich im Gästehaus ein wenig aufs Ohr, nachdem ich einige meiner Tops gewaschen und Nudelsuppe verzehrt habe. Über Shanghai donnern immer wieder Jagdflieger, vielleicht ging ja gestern doch noch was mit den Außerirdischen.

Nachmittags:

Da mein Mobilfon ständig bimmelt, komme ich nicht zum Schlafen und bin beim Nachmittagstraining entsprechend unkonzentriert. Zwar ist alles „piaoliang“, aber es geht auch noch „geng piaoliang“ (noch hübscher), auf die kleinste Fehlstellung folgt Gefauche aus dem Hintergrund. Wenn ich erst mal im Fluss bin, geht es ja, aber ich falle vor Müdigkeit fast um. Ich lerne das chinesische Wort für „Muskelkater“. Die weißhaarige Dame übt neben uns auch wieder in tiefer Versunkenheit die 48er Yang F
orm, für mich bis jetzt eigentlich das Beste, was ich in dieser Richtung hier jemals in Parks gesehen habe, in Deutschland kommt da sowieso keiner ran. Sogar Xiao Lu sagt, dass sie sehr gut sei, dann muss das wohl stimmen. Wie gerne würde ich sie filmen oder wenigstens fotografieren, aber das steht völlig außer Frage.
Zur Bushaltestelle werde ich mit dem wie eine Katze schnurrenden Elektroroller gekarrt, ein geiles Gefährt. Würde ich hier leben, hätte ich auch so einen. Xiao Lu findet seinen fahrbaren Untersatz wohl nicht ganz so cool wie ich, langes Gespräch über die anstehende Formel 1 dieses Wochenende. Ich werde mir der Ermahnung, nach dem Abendessen sofort schlafen zu gehen, in den Bus gesetzt.

Abends:

Mit Kerstin ziehen wir los, um Nahrung zu assimilieren und entscheiden uns für ein Restaurant mit Sezhuan Küche. Das Restaurant ist auch sehr abgefahren und die Speisen sehen auch lecker aus, aber leider machen wir mal wieder Bekanntschaft mit dem alten „ Huhn- ist- kein- Fleisch- und- Fisch- und- Schinken- Gemüse“ Problem. Kerstin hat d
as Pech, herzhaft auf ein Stück Schinken zu beißen. Ich bin ja nicht ganz so heikel, aber bei so was hätte auch ich gewürgt, sie tut mir echt leid. Zwar sind die wirklich vegetarischen Gerichte sehr raffiniert und lecker, aber das Restaurant ist raus, gestern sind wir mit Shanghaier Hausmannskost besser gefahren. Morgen wird dann vielleicht mal die Hunan- Küche getestet, der Laden sah auch nett aus. Schnaps in der Studentenkneipe, Schlafenszeit.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Muskelkater: Jirou Tengtong
Eines meiner ersten neugelernten Wörter in Wudang...