Freitag, Oktober 24, 2008

Warrior Women #4

Erstmal vielen Dank an Herrn Oster für den Hinweis auf mein blog in seinem Newsletter (der unsere Mailboxen hier zunächst völlig lahm gelegt hat). Er vergaß leider zu erwähnen, dass Stefanie und ich die dritte beziehungsweise zweite Vorsitzenden unseres Vereins sind. Aber so kleine Formfehler sieht man ja gerne nach.
24.10.08, Freitag

Vormittags:

Strahlender Sonnenschein weckt mich um 6.00, ich muss mir mal angewöhnen, die Gardinen zuzuziehen. Aber irgendwie kann ich mich abends nie von dieser grandiosen Kulisse losreißen, der Ausblick ist einfach zu schön.
Ein Blick in die Online- Ausgabe von Shanghai Daily gibt die Erklärung für den Aufruhr neulich: Eine Gruppe Japaner (was sonst) hatte wohl in der Studentenkneipe Geburtstag gefeiert und danach noch in der 9. Etage des Gästehauses rumgelärmt. Fäuste und Plastikflaschen flogen, es gab gering Verletzte. Die Japaner provozierten weiter, das führte wohl zu Protesten der Chinesen. Merke: Niemals Chinesen provozieren, vor allem nicht als Japaner und schon garnicht im eigenen Land.
Gut gelaunt kommen wir im Park an. Nur wir beide, Xiao Lu und Herr Si sind da, der junge Mann kommt später auch noch. Xiao Lu hat gestern natürlich auf mich gewartet, das tut mir sehr leid und ich entschuldige mich ausgiebig. Der Meister hat neue Hosen für Stefanie angefertigt, diese passen perfekt. Xiao Lu erkundigt sich nach ihrer Schuhgröße, um ihr ebenfalls diese schönen Schlappen zu besorgen, wie nett.
Ich glaube, wir machen jede Einzelbewegung, die es in Tongbei- System gibt, dazu noch etliche Kombinationen. Der Meister demonstriert mit einer Kippe in der Faust „Fa Jin“ (Freisetzen der Kraft, für die Kampfsportunkundigen: Volles Rohr draufhauen), die Faust schnellt nach vorne und aus der Kippe fliegt die Hälfte des Tabaks. Respekt. Die Form laufen wir sehr langsam und sorgfältig. Die Typen, die Meister Wu eigentlich heute im Volkspark hätte treffen sollen rufen an und sagen ab, was zu einer verlängerten Unterrichtseinheit führt. Alle sind gut drauf, Stefanie und der Knabe werden durch den Park geschleudert während ich mit Xiao Lu Push Hands mache, natürlich ziehe ich ständig den kürzeren, aber wir haben viel Spaß.
Die drei Damen vom Fladenstand erkundigen sich, wann wir denn nach Hause zurückkehrten und sind ganz traurig, dass Stefanie morgen schon fährt.

Nachmittags:

Da ich mir angewöhnt habe, alle Lines, die ich so lerne, auf Video aufzunehmen und mir die korrekten chinesischen Bezeichnungen dazu aufschreiben zu lassen, bin ich natürlich in der Pflicht. (Mit Sachen wie „Schlag- von- oben- und- Pferd- hochziehen“ kann ich eher weniger anfangen). Wenn jetzt „Si Xing“ oder „Jiao“ angesagt werden, muss ich natürlich sofort schon die richtige Anfangsstellung einnehmen, sonst gibt es Gemaule vom großen Bruder. Immerhin geben meine Ärmel mittlerweile leise Flappgeräusche von sich, ein Zeichen, dass ich ansatzweise auch Fa Jin beherrsche. (Zur Erklärung: Die Ärmel unserer Jacken sind relativ lang, bei korrekter Ausführung eines Schlages sollten die ordentlich knallen. Ist ziemlich schwierig, vor allem muss man dabei sehr locker sein und im richtigen Moment den Impuls geben). An meinen Formen wird erstaunlich wenig rumgemeckert, Xiao Lu meint, jeden Tag würde man Fortschritte sehen. Wäre ja auch schlimm, wenn das nicht so wäre. Damit die Bodenaction bei Dong Bao Quan zu Hause auch richtig korrekt ausgeführt wird, muss ich mich wieder auf den dreckigen Boden schmeißen und werde in die richtige Position gebogen, in der ich gefühlte 10 Minuten verharren muss. Der Lerneffekt ist größer, wenn man sich mit jedem schmerzenden Muskel anfreundet. Zur Entspannung noch ein bisschen Push- Hand- Gerangel, der geile Elektroroller ist leider kaputt, deswegen geht es auf dem Gepäckträger des klapperigen Fahrrades zur Bushaltestelle. Auch nett.

Abends:


Wir suchen wieder das leicht rustikale Restaurant mit Shanghaier Hausmannskost auf und bestellen unsere Favoriten. Da das Stefanies letzter Abend ist, gönnt sie sich Garnelen, eigentlich wollte sie ja nur ein p
aar, das geht aber aus irgendwelchen Gründen nicht. Egal, die kosten sowieso nur umgerechnet 2,50 Euro pro Portion, lassen wir uns also überraschen. Die Wirtin macht uns diskret darauf aufmerksam, dass wir zu zweit gerade fünf Gerichte bestellt hätten, sei das nicht etwas viel? Quatsch, wir bleiben bei unserer Bestellung. Die ersten Speisen werden zügig aufgetischt, während im Hintergrund ein schmieriger Koch massenweise Garnelen aus dem Becken angelt. Vor allem die Auberginen werden hastig assimiliert, dann kommen die Garnelen in Ingwer, Chilli und Knoblauch, ein Riesen- Berg, da muss Stefanie jetzt durch. Tatsächlich schaffen wir das meiste des Essens, bedürfen jedoch noch eines Verdauungsgetränkes und ordern eine kleine Flasche Schnaps. Das Zeug ist etwas hart im Angriff, geht dann aber doch ganz gut runter. Zu unserer Überraschung entdecken wir eine ungelenke englische Beschreibung genau dieses Effektes auf dem Etikett der Flasche. Übermütig spielen wir mit den Essensresten, bestellen noch eine Flasche Schnaps und beobachten den Tanz einer in bessere Welten hinübergegangenen Garnele in einem der Aquarien, während an uns vorbei die Küchenabfälle nach draußen geschleppt werden. Interessant: Die Garnele wird von der Pumpe des Aquariums angesogen und dann ruckartig an die Wasseroberfläche gestoßen, um dann nach einigen Konvulsionen in anmutigen Trudelbewegungen wieder auf den Grund des Beckens zu sinken. Wir sind derartig fasziniert von diesem Totentanz, dass wir das ganze ausgiebig filmen. Die Chinesen halten uns wahrscheinlich für völlig übergeschnappt.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich bedaure es sehr sehr sehr, die Damen nur mit Namen aber nicht mit Rang erwähnt zu haben. Vor jeder von Euchfünf mal den Kotau, dürfte das reichen???