11.10.2008, Samstag
Vormittags:
Ziemlich klares Wetter heute, eigentlich wie geschaffen dafür, nach Pudong zu fahren und sich die Wolkenkratzer anzuschauen. Das World Financial Center war letztes Jahr noch nicht fertig, da muss ich unbedingt noch rauf. Statt dessen trabe ich in den Park, heute haben sich nur Herr Si und ich eingefunden. Herr Si ist für mich ein absoluter Held: Er ist zwar nicht sonderlich gut, hat aber immer Riesen- Spaß, lacht viel und ist neben mir der einzige, der wirklich jeden Tag da war. Und er gibt sich redliche Mühe und freut sich auch über kleine Erfolge. Finde ich klasse, die gelassene Ruhe von dem sollte ich mir vielleicht mal zu eigen machen und nicht immer so verbissen darauf bedacht sein, alles perfekt zu machen. Der Cotton- Palm Typ, bei dem ich letztes Jahr im China Camp mal eine Stunde trainiert hatte, ist auch da, um dem Meister Hallo zu sagen. Ich erkenne den sofort an seinem Mondgesicht und seiner Warze auf der Stirn wieder. Interessant, er scheint mich auch wiederzuerkennen, steckt mir gleich mal ne Kippe zu und klönt ein wenig mit Meister Wu. Der erklärt dem Typen erst mal den feinen Unterschied zwischen Heyi Tongbei (unser Stil) und Baiyuan Tongbi, wird anscheinend gerne verwechselt.
Wir haben Spaß und üben ganz locker. Unser Freund, der Shaolin stattet uns auch einen Besuch ab und darf gleich mal zeigen, was er kann. Da er ziemlich dürr ist, sieht sein Gezappel aus wie eine Tarantel auf dem elektrischen Stuhl. (Leider schaffe ich es nicht, meine Kamera rechtzeitig aus der Tasche zu zerren).Er kriegt vom Meister dann auch gleich zu hören, was er alles falsch macht, Herr Si und ich grinsen uns verschwörerisch zu. Auch eine neben uns Taiji übende Dame bringt sich ein und erläutert dem Shaolin, wie man sich richtig hält. Frau Si schaut vorbei und schaut ihrem Gatten beim Üben zu, süß.
Die Form üben wir unter besonderer Berücksichtigung der Anwendungen, mir bringt das sehr viel. Die Wu- Stil Gang schaut kritisch zu, als ich auf einem Bein stehend korrigiert werde. Der Meister zückt seinen Taschenübersetzer und tippt das Wort „neidisch“ ein, weil er von deren Fähigkeiten wohl nicht viel hält. Naja, und ich konnte schon immer gut auf einem Bein stehen und dabei hübsch aussehen. Eine der Damen fragt, ob ich Shanghainese verstünde, der Meister erklärt ihr, nein, aber wenn man langsam mit mir Mandarin spräche, ginge es so einigermaßen. Das Tempo, in dem der mit mir spricht, nennt der langsam?! Schönen Dank! Unklar, ob Xiao Lu heute Nachmittag Zeit hat, der Meister wird das klären
Am Fladenstand bekomme ich ohne große Erklärungen das Gewünschte, lecker. Nebenan kann ich die arme Kerstin husten hören. Erkältung in Shanghai ist Scheiße, kenne ich selber zur Genüge. Xiao Lu hat mir eine Nachricht hinterlassen, nächste Woche könnten wir täglich trainieren und ich solle mir nicht so viele Gedanken machen. Der Meister ruft an und teilt mir knapp mit, heute Nachmittag gäbe es Unterricht. Gut.
Nachmittags:
Ich lege mich erst mal eine Stunde aufs Ohr und laufe dann wunderbar entspannt im Park ein. Nochmal Entschuldigungen wegen gestern. Auf unserem Trainingsgelände übt eine Schalle unter der Anleitung eines Typen Chen- Stil, die beiden sind nicht übel, aber ich nehme befriedigt zur Kenntnis, dass unsere Vereinsmitglieder da locker mithalten könnten. Unserer Chen- Lehrerin Heike könnte der Typ sowieso nicht das Wasser reichen. Xiao Lu bringt mir noch ein paar Einzelbewegungen bei, die ich nach einigen Anlaufschwierigkeiten sogar ganz gut hinbekomme. Das wird morgen noch mal wiederholt werden müssen. Die bösen Lines klappen problemlos, Feinschliff bei der Form, ich übe die Stellen, bei denen ich schon in Deutschland wusste, dass das so nicht ganz richtig ist, besonders intensiv. Meine Aufmerksamkeit wird von einer älteren Dame in rosa Pluderhosen, hohen Hacken und Glitzertop abgelenkt, die neben uns zu den Klängen ihres Walkmans die unglaublichsten Verrenkungen vollführt. John Travolta ist ein Dreck dagegen. Push Hands läuft auch so ganz gut, aber das wird nie meine Lieblingsdisziplin werden.
Nach dem Training hocken wir uns noch auf eine Bank und klönen, bis der Park schließt. Er will wissen, was ich denn in Deutschland mit dem Erlernten anfangen wollte? Ich entgegne, ich wollte das halt einfach so für mich üben, da ich Spaß an den Bewegungen hätte. Das ginge nicht, ich müsse unterrichten. Ich bin zwar der Meinung, noch lange nicht auf dem Level zu sein, selber Unterricht erteilen zu können, aber er meint, das wäre egal, Hauptsache, Tongbei würde bekannt. Vorsichtig lenke ich ein, ich könne ja ein paar Einzelbewegungen und Lines unterrichten und das findet er dann auch ganz in Ordnung. Also Lilo: Freitag Abend gehört jetzt den Kriegerinnen.
Abends:
Kerstin und ich machen uns zu dem vegetarischen Restaurant in der Nanjing Lu auf. Mir geht einfach immer das Herz auf, wenn ich diese glitzernden Leuchtreklamen sehe, unbeschreiblich. In unserer maßlosen Gier bestellen wir viel zu viele Speisen, konnte ja keiner ahnen, dass die Portionen hier riesig sind. Wir decken uns mit Nudelsuppen ein und bummeln zur Bushaltestelle. Neu auf der Nanjing Lu ist der Flagschiff Laden der Marke Li Ning, so was wie die chinesische Konkurrenz zu Addidas und so. (Wer die Eröffnungsfeier der Olympiade gesehen hat, wird sich vielleicht an den Typen erinnern, der einmal um das Stadiondach lief und dann das olympische Feuer entzündete. Das ist der Gründer dieser Marke, ein ehemaliger Leichtathlet). Da wir Frauen sind, werden wir natürlich magisch in diesen Laden hineingesogen und sind ganz begeistert. Einkaufen ist sowieso eine hervorragende Übung zur Hand-/ Augenkoordination. Den Trainingsfummel der chinesischen Nationalmannschaft hätten wir ja schon gerne, aber der steht leider nicht zum Verkauf. In der Damenabteilung entdecke ich sehr schicke Jacken in einem unglaublichen Dunkellila, da ich mich nicht zwischen zweien entscheiden kann, erstehe ich beide, denn sie sind sehr günstig und qualitativ hochwertig. Damit kann ich definitiv meine Pumphosen erheblich aufhübschen. Kerstin findet noch eine sehr feine schwarze Sporttasche, befriedigt über unsere Einkäufe bummeln wir zur Bushaltestelle und machen uns auf den Heimweg. Frauen sind ja so leicht glücklich zu machen! Auf der Straße am Stadion ist ein Riesen- Nachtmarkt, buntes Treiben und die Luft ist geschwängert von Grillduft. Weniger gut finde ich allerdings, dass Tiere wie kleine Kaninchen, Meerschweinchen und sehr junge Hundewelpen in winzigen Käfigen zum Kauf feilgeboten werden. Was willste machen, China halt.
Vormittags:
Ziemlich klares Wetter heute, eigentlich wie geschaffen dafür, nach Pudong zu fahren und sich die Wolkenkratzer anzuschauen. Das World Financial Center war letztes Jahr noch nicht fertig, da muss ich unbedingt noch rauf. Statt dessen trabe ich in den Park, heute haben sich nur Herr Si und ich eingefunden. Herr Si ist für mich ein absoluter Held: Er ist zwar nicht sonderlich gut, hat aber immer Riesen- Spaß, lacht viel und ist neben mir der einzige, der wirklich jeden Tag da war. Und er gibt sich redliche Mühe und freut sich auch über kleine Erfolge. Finde ich klasse, die gelassene Ruhe von dem sollte ich mir vielleicht mal zu eigen machen und nicht immer so verbissen darauf bedacht sein, alles perfekt zu machen. Der Cotton- Palm Typ, bei dem ich letztes Jahr im China Camp mal eine Stunde trainiert hatte, ist auch da, um dem Meister Hallo zu sagen. Ich erkenne den sofort an seinem Mondgesicht und seiner Warze auf der Stirn wieder. Interessant, er scheint mich auch wiederzuerkennen, steckt mir gleich mal ne Kippe zu und klönt ein wenig mit Meister Wu. Der erklärt dem Typen erst mal den feinen Unterschied zwischen Heyi Tongbei (unser Stil) und Baiyuan Tongbi, wird anscheinend gerne verwechselt.
Wir haben Spaß und üben ganz locker. Unser Freund, der Shaolin stattet uns auch einen Besuch ab und darf gleich mal zeigen, was er kann. Da er ziemlich dürr ist, sieht sein Gezappel aus wie eine Tarantel auf dem elektrischen Stuhl. (Leider schaffe ich es nicht, meine Kamera rechtzeitig aus der Tasche zu zerren).Er kriegt vom Meister dann auch gleich zu hören, was er alles falsch macht, Herr Si und ich grinsen uns verschwörerisch zu. Auch eine neben uns Taiji übende Dame bringt sich ein und erläutert dem Shaolin, wie man sich richtig hält. Frau Si schaut vorbei und schaut ihrem Gatten beim Üben zu, süß.
Die Form üben wir unter besonderer Berücksichtigung der Anwendungen, mir bringt das sehr viel. Die Wu- Stil Gang schaut kritisch zu, als ich auf einem Bein stehend korrigiert werde. Der Meister zückt seinen Taschenübersetzer und tippt das Wort „neidisch“ ein, weil er von deren Fähigkeiten wohl nicht viel hält. Naja, und ich konnte schon immer gut auf einem Bein stehen und dabei hübsch aussehen. Eine der Damen fragt, ob ich Shanghainese verstünde, der Meister erklärt ihr, nein, aber wenn man langsam mit mir Mandarin spräche, ginge es so einigermaßen. Das Tempo, in dem der mit mir spricht, nennt der langsam?! Schönen Dank! Unklar, ob Xiao Lu heute Nachmittag Zeit hat, der Meister wird das klären
Am Fladenstand bekomme ich ohne große Erklärungen das Gewünschte, lecker. Nebenan kann ich die arme Kerstin husten hören. Erkältung in Shanghai ist Scheiße, kenne ich selber zur Genüge. Xiao Lu hat mir eine Nachricht hinterlassen, nächste Woche könnten wir täglich trainieren und ich solle mir nicht so viele Gedanken machen. Der Meister ruft an und teilt mir knapp mit, heute Nachmittag gäbe es Unterricht. Gut.
Nachmittags:
Ich lege mich erst mal eine Stunde aufs Ohr und laufe dann wunderbar entspannt im Park ein. Nochmal Entschuldigungen wegen gestern. Auf unserem Trainingsgelände übt eine Schalle unter der Anleitung eines Typen Chen- Stil, die beiden sind nicht übel, aber ich nehme befriedigt zur Kenntnis, dass unsere Vereinsmitglieder da locker mithalten könnten. Unserer Chen- Lehrerin Heike könnte der Typ sowieso nicht das Wasser reichen. Xiao Lu bringt mir noch ein paar Einzelbewegungen bei, die ich nach einigen Anlaufschwierigkeiten sogar ganz gut hinbekomme. Das wird morgen noch mal wiederholt werden müssen. Die bösen Lines klappen problemlos, Feinschliff bei der Form, ich übe die Stellen, bei denen ich schon in Deutschland wusste, dass das so nicht ganz richtig ist, besonders intensiv. Meine Aufmerksamkeit wird von einer älteren Dame in rosa Pluderhosen, hohen Hacken und Glitzertop abgelenkt, die neben uns zu den Klängen ihres Walkmans die unglaublichsten Verrenkungen vollführt. John Travolta ist ein Dreck dagegen. Push Hands läuft auch so ganz gut, aber das wird nie meine Lieblingsdisziplin werden.
Nach dem Training hocken wir uns noch auf eine Bank und klönen, bis der Park schließt. Er will wissen, was ich denn in Deutschland mit dem Erlernten anfangen wollte? Ich entgegne, ich wollte das halt einfach so für mich üben, da ich Spaß an den Bewegungen hätte. Das ginge nicht, ich müsse unterrichten. Ich bin zwar der Meinung, noch lange nicht auf dem Level zu sein, selber Unterricht erteilen zu können, aber er meint, das wäre egal, Hauptsache, Tongbei würde bekannt. Vorsichtig lenke ich ein, ich könne ja ein paar Einzelbewegungen und Lines unterrichten und das findet er dann auch ganz in Ordnung. Also Lilo: Freitag Abend gehört jetzt den Kriegerinnen.
Abends:
Kerstin und ich machen uns zu dem vegetarischen Restaurant in der Nanjing Lu auf. Mir geht einfach immer das Herz auf, wenn ich diese glitzernden Leuchtreklamen sehe, unbeschreiblich. In unserer maßlosen Gier bestellen wir viel zu viele Speisen, konnte ja keiner ahnen, dass die Portionen hier riesig sind. Wir decken uns mit Nudelsuppen ein und bummeln zur Bushaltestelle. Neu auf der Nanjing Lu ist der Flagschiff Laden der Marke Li Ning, so was wie die chinesische Konkurrenz zu Addidas und so. (Wer die Eröffnungsfeier der Olympiade gesehen hat, wird sich vielleicht an den Typen erinnern, der einmal um das Stadiondach lief und dann das olympische Feuer entzündete. Das ist der Gründer dieser Marke, ein ehemaliger Leichtathlet). Da wir Frauen sind, werden wir natürlich magisch in diesen Laden hineingesogen und sind ganz begeistert. Einkaufen ist sowieso eine hervorragende Übung zur Hand-/ Augenkoordination. Den Trainingsfummel der chinesischen Nationalmannschaft hätten wir ja schon gerne, aber der steht leider nicht zum Verkauf. In der Damenabteilung entdecke ich sehr schicke Jacken in einem unglaublichen Dunkellila, da ich mich nicht zwischen zweien entscheiden kann, erstehe ich beide, denn sie sind sehr günstig und qualitativ hochwertig. Damit kann ich definitiv meine Pumphosen erheblich aufhübschen. Kerstin findet noch eine sehr feine schwarze Sporttasche, befriedigt über unsere Einkäufe bummeln wir zur Bushaltestelle und machen uns auf den Heimweg. Frauen sind ja so leicht glücklich zu machen! Auf der Straße am Stadion ist ein Riesen- Nachtmarkt, buntes Treiben und die Luft ist geschwängert von Grillduft. Weniger gut finde ich allerdings, dass Tiere wie kleine Kaninchen, Meerschweinchen und sehr junge Hundewelpen in winzigen Käfigen zum Kauf feilgeboten werden. Was willste machen, China halt.
1 Kommentar:
"Tarantel auf dem elektrischen Stuhl" - wie poetisch! Aus dir wird nochmal ne richtige Lyrikerin ;-)
Und: Freitagabend ist gebongt - ich übernehme die Aufwärmfolter, dann gehören sie dir...
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