06.10.2008, Montag
Gestern abend bin ich noch mal die Gasse neben dem Campus (unser Hotel befindet sich auf dem Campus der Shanghai International Studies University und ist eigentlich ein Gästehaus) und habe festgestellt, dass das voll die Fressgasse ist. Zu meinem Entzücken gibt es auch einen Stand mit den leckeren Fladen, die ich 2005 schon immer vor dem Training in einem anderen Park gerne verspeist habe. Die Mädels am Stand deuten mein Stehen bleiben sofort als Kaufwunsch und fragen mich, was ich will. Völlig verwirrt deute ich auf einen anderen Fladen und werde erst mal mit Details zum Belag konfrontiert. Mist, ich dachte, das sei alles gleich. Irgendwie vermittele ich, das ich das vegetarisch möchte, zum Glück steht neben mir eine sehr nette Chinesin, die Englisch kann und mir hilft. Der Fladen schmeckt auch hervorragend, trotz meines beschämenden Scheiterns werde ich hier wohl öfter speisen. Stefanie dürfte das auch mögen.
Vormittags:
Ein Blick aus dem Fenster zeigt diesiges, aber wenigstens trockenes Wetter. Gut, dann kann also trainiert werden. Meinem Magen geht es irgendwie nicht gut, hätte ich gestern vielleicht doch nicht am Straßenstand essen sollen? Nein, das sah alles sauber aus. Wahrscheinlich war der Windbeutel zum Frühstück keine sehr kluge Idee. Vielleicht aber auch einfach normal angesichts der ständigen Gelage der letzten Tage. Die nationalen Ferien sind rum und es ist ein ganz normaler Arbeitstag, dementsprechend auch der Verkehr. Im Bus kriege ich zwar noch einen Platz, aber der penetrante Dieselgeruch verbessert meine Beschwerden nicht gerade, außerdem dauert die Fahrt wegen des Berufsverkehrs ziemlich lange. Rose ist zum Training da, das ist sehr gut, denn die kann übersetzen. Außerdem noch Oskar, Michaels Vater und der Knabe. (Ich kriege raus, dass er Herr Si heißt und ein alter Kollege Meister Wus ist). Umschweifige Entschuldigungen wegen gestern, den Meister habe ich wohl um wenige Minuten verpasst. Schwamm drüber, wusste ja auch keiner, wie ich zu erreichen bin. Zur Vorsicht habe ich mal meine Shanghaier Mobilnummer auf ein paar meiner Visitenkarten geschrieben, jetzt dürfte nichts mehr schief gehen. Training läuft einigermaßen, habe angesichts meines Zustandes mit schlimmerem gerechnet, aber zufrieden bin ich natürlich nicht. Anschließend lädt uns Rose noch zum Essen ein, aber als ich das Lokal betrete, dreht sich mir von dem ekeligen Räucherstäbchengestank fast der Magen um. Ich entschuldige mich und begebe mich zurück ins Hotel, schließlich soll ich ja nachmittags noch mit Xiao Lu Dong Bao Fist üben.
Nachmittags:
Auf Bus habe ich keinen Bock und trabe mit iPod am Ohr zum Park. Und natürlich habe ich mir in den vergangenen 10 Monaten wieder jede Menge Scheiße angewöhnt, die jetzt erst mal berichtigt werden muss. (Dieses deutsche Wort dürfte Xiao Lu mittlerweile hinreichend kennen, schließlich brülle ich das während des Trainings oft genug). Ich bestehe auf Wiederholungen, bis mir fast der Kopf platzt, dann gibt es noch Lektionen in Push Hands und noch eine Korrektur der Tong Bei Form. Ich merke, dass meine linke Schulter ganz schön verspannt ist, vielleicht sollte ich mal weniger vor dieser Kiste hier hocken. Xiao Lu findet es ganz schlimm, dass wir in unserem Verein keinen haben, der Push Hands kann. Ja, sehr bedauerlich... Heute Morgen hat er ziemlich lange mit irgendwelchen Leuten gequatscht, jetzt erzählt er mir, die hätten gesagt, ich wäre nicht gut. Was?! Ich bin empört, so gut wie Oskar war ich allemal und der macht das ja schon eine Weile. Also frage ich mal, was die denn für einen Stil trainieren, es ist Wu Stil. Ich lache verächtlich, äffe die engen Bewegungen dieses Stiles nach (Lu lacht sich schief) und will eigentlich sagen, morgen würde ich es denen aber zeigen. Ich komme aber nur bis „Morgen werde ich...“, Lu ergänzt hilfreich „... sie töten?“. Na, das nun nicht gerade. Vielleicht einfach nur brutal zusammenschlagen. Zu diesem Thema erklärt er mir, da wir beide so groß seien, müssten wir besonders tief stehen, damit wir die kleinen Leute auch ordentlich an den entsprechenden Stellen erwischen. Schönen Dank. Lange Debatten über die jeweiligen Stile und was man gerne so trainiert und wie, morgen führt mir Lu vielleicht seine Säbelform vor. Geil. Auch ohne das entsprechende Sportgerät hat das schon ordentlich gefährlich ausgesehen. Da die Ärmel meines Fummels etwas zu lang sind, muss ich den wieder aus meiner Tasche zerren und ihm aushändigen, er will ihn zu Hause kürzen. Großes Gejammer, weil ich den relativ lieblos in die Tasche gestopft habe und mir wird demonstriert, wie man den ordentlich zusammenlegt. Ja, mache ich zu Hause doch immer, ich bin ein sehr ordentlicher Mensch. Wie peinlich! Xiao Lu begleitet mich noch ritterlich zur Bushaltestelle, wollte ja eigentlich laufen, aber jetzt muss ich mich halt in den Bus quetschen. Wegen des Feierabendverkehrs ist der Bus saulangsam, ich steige nach 2 Stationen wieder aus und laufe lieber. Merke: In Shanghai während der Rushhour niemals öffentliche Verkehrsmittel benutzen, außer, wenn es nicht anders geht.
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